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Leitfaden

Leitfaden zur Beschwerdeeinreichung beim EGMR

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg fungiert als internationaler Gerichtshof, dessen Aufgabe darin besteht, die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in den Mitgliedsstaaten zu überwachen, welche die Konvention ratifiziert haben. Jede natürliche oder juristische Person kann den Gerichtshof einschalten, wenn sie der Auffassung ist, dass ihre durch die Konvention zugesicherten Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind. Um eine Beschwerde erfolgreich beim EGMR einzureichen, gilt es jedoch, bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. Im Folgenden haben wir die wichtigsten Fakten daher für Sie zusammengefasst.

Einhaltung der Frist zwingend

Die Frist für das Einreichen einer Beschwerde beim EGMR beträgt derzeit (noch) sechs Monate. Als Fristbeginn gilt der Zeitpunkt, zu dem das letzte effektive Rechtsmittel ausgeschöpft, die diesbezügliche innerstaatliche Entscheidung ergangen ist und die Möglichkeit zur Kenntnisnahme bestand. Innerhalb der Beschwerdefrist müssen alle erforderlichen Unterlagen an den Gerichtshof übermittelt werden.

Schriftform vorgeschrieben

Eine Beschwerde ist schriftlich und per Post beim EGMR einzureichen und muss vom Beschwerdeführer oder dessen bevollmächtigter Vertretung unterzeichnet sein. Eine Übermittlung per E-Mail oder Fax reicht nicht aus, es muss auf jeden Fall eine Bestätigung auf dem klassischen Postweg folgen. Der EGMR akzeptiert Beschwerden in allen Amtssprachen des Europarates, somit können diese auch in deutscher Sprache verfasst sein. Das Verfahren wird erst zu einem späteren Zeitpunkt in Französisch oder Englisch fortgeführt.

Mindestinhalt einer Beschwerde

Seit dem 1. Januar 2014 ist eine neue Verfahrensordnung in Kraft, die mit deutlich strengeren Anforderungen an die Beschwerdeeinreichung einhergeht. Artikel 47 VerfO regelt den Mindestinhalt einer Beschwerde. Demnach nimmt der Gerichtshof ausschließlich Beschwerden entgegen, wenn das dazu vom ihm bereitgestellte Beschwerdeformular genutzt wird. Dieses Formblatt muss vollständig und gemäß den Vorgaben ausgefüllt sein. Des Weiteren sind der Beschwerde alle maßgeblichen Dokumente in Kopie beizufügen (z. B. Vollmacht, innerstaatliche Urteile oder Entscheidungen). Ein Nachreichen von Schriftstücken ist nicht möglich, sodass die Vollständigkeit aller Unterlagen obligatorische Voraussetzung für die Fristeinhaltung ist. Hier ist insbesondere Art 47 Abs. 2 (a) VerfO zu beachten. Demnach müssen sämtliche anzugebenden Informationen zur Sachlage, zu den geltend gemachten Verletzungen und zur Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen ausreichend sein, um den Gerichtshof in die Lage zu versetzen, Art und Umfang der Beschwerde zu bestimmen, ohne auf andere Dokumente zurückzugreifen.

Neben einer kurzen Schilderung des Sachverhalts muss die Beschwerde die persönlichen Daten des Beschwerdeführers beinhalten (Name, Anschrift, Geburtsdatum, Geschlecht, Staatsangehörigkeit etc.).

Bei der Darlegung des Sachverhalts ist für jeden einzelnen Beschwerdepunkt anzugeben, welche mit der Konvention verbundenen Rechte verletzt worden sind und inwiefern sich dies in Zusammenhang mit dem dargestellten Sachverhalt begründet. Dabei sollten die Fakten klar und umfassend, zugleich aber in knapper Form geschildert werden. Es empfiehlt sich daher, die Ereignisse chronologisch aufzuführen und mit dem jeweiligen Datum zu versehen. Beziehen sich die Beschwerdepunkte auf unterschiedliche Sachverhalte, sind diese stets separat zu behandeln, das heißt, dass jeder Sachverhalt ein eigenes Beschwerdeformular erfordert inklusive der beizufügenden Dokumente.

Zu den beizufügenden Dokumenten insbesondere:

  • Einschlägige Entscheidungen zum Gegenstand der Beschwerde,
  • Urteile der nationalen Gerichtsinstanzen,
  • Nachweise über die Einhaltung von Fristen und Ausschöpfung, innerstaatlicher Rechtsbehelfe,
  • Ausführliche Begründung im Falle des Nicht-Ergreifens weiterer objektiv möglicher Rechtsmittel,
  • Anträge vor verschiedenen Instanzen (z. B. Verfassungsbeschwerde) als Nachweis des Vorbringens der Konvention vor Gericht.

Generell gilt, dass folgende Kriterien berücksichtigt werden müssen:

  • Historisch/chronologischer Aufbau nach Datum und Art des Verfahrens
  • Nummerierung der Seiten
  • Erstellung einer Auflistung aller Seiten

Zusatzinformationen können an das Beschwerdeformular angehängt werden, dürfen einen Umfang von maximal 20 Seiten aber nicht überschreiten. Diese Informationen sind chronologisch in einer Liste zu erfassen. Für alle zu übermittelnden Informationen gilt, dass diese ebenso präzise wie knapp zu halten sind. Ansonsten besteht die begründete Gefahr, dass der Gerichtshof die Bearbeitung der Beschwerde zurückweist.

Antrag auf Entschädigung

Obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch nicht zwingend erforderlich ist, sollte schon in der Beschwerdeschrift ein Antrag auf gerechte Entschädigung (inkl. der notwendigen Belege nach Art. 41 EMRK) gestellt werden, falls eine solche angestrebt wird. Die beschwerdeführende Person sollte den Schaden, der ihr durch die Verletzung der Konvention entstanden ist, jedoch in jedem Fall bereits in der Beschwerdeschrift im Einzelnen darlegen. Art. 60 VerfO gibt Aufschluss über Frist und Formalia. Eine Entschädigung wird gegebenenfalls für die Bereiche Vermögensschäden, ideelle Schäden sowie Kosten und Aufwendungen (z. B. Anwaltskosten) gewährt. Für die Gewährung einer Entschädigung müssen jedoch zwei Voraussetzungen erfüllt sein. So muss zum einen ihre Notwendigkeit gegeben sein, zum anderen darf innerstaatliches Recht hier nur eine Teilentschädigung vorsehen.

Vollmacht erforderlich

Wer sich als Beschwerdeführer vertreten lassen möchte, muss beachten, dass die im Beschwerdeformular integrierte Vollmacht von seiner Vertretung auszufüllen und zu datieren ist. Sowohl die beschwerdeführende als auch die vertretende Person haben das Dokument zu unterschreiben.

Kein Anwaltszwang bei Beschwerdeeinreichung

Bei Beschwerdeeinreichung ist noch keine anwaltliche Vertretung erforderlich, allerdings empfiehlt sich diese in einer Vielzahl der Fälle zwecks juristischer Beratung aufgrund der Komplexität der EMRK. Ein Rechtsbeistand ist spätestens dann ohnehin vorgeschrieben, wenn die Zustellung der Rechtssache an den jeweiligen Vertragsstaat erfolgt ist. Ab diesem Verfahrensstadium greift dann auch die Möglichkeit der Gewährung von Verfahrenshilfe (siehe dazu „Kosten und Verfahrenshilfe“). Als vertretungsberechtigt gelten Anwältinnen und Anwälte, die über eine Zulassung in einem der Mitgliedsstaaten verfügen und andere Personen wie etwa Hochschulprofessorinnen oder -professoren, die der Kammerpräsident des EGMR dazu autorisiert hat.

Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

Mit der Beschwerdeeinreichung kann zugleich ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (Art. 39 VerfO) gestellt werden. Der EGMR hat in besonderen Fällen die Möglichkeit, den Vertragsstaat zur Maßnahmenergreifung aufzufordern, sodass die beschwerdeführende Person keine (weitere) Verletzung ihrer Rechte erfährt, während die Sache vor dem Gerichtshof verhandelt wird. Hierdurch kann verhindert werden, dass das Beschwerderecht vereitelt wird, indem vollendete und irreversible Tatsachen geschaffen werden. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erfolgt lediglich in wenigen Ausnahmefällen und gewöhnlich nur dann, wenn die körperliche Unversehrtheit oder das Leben von Beschwerdeführenden gefährdet ist wie etwa bei Auslieferung oder Abschiebung in Staaten, in denen Folter und/oder Todesgefahr drohen.

Antrag auf Anonymität

Eine anonyme Beschwerde wird nicht akzeptiert. So muss die Identität der beschwerdeführenden Person gegenüber dem Gerichtshof und dem gegnerischen Staat stets offengelegt werden. Allerdings ist es möglich, mit der Einreichung der Beschwerde einen Antrag auf Anonymisierung der Identität zu stellen, sodass die Person im Falle eines Urteils und dessen Veröffentlichung nicht namentlich genannt wird. Da dies von der üblichen Praxis des öffentlichen Verfahrens abweicht, ist dafür eine Begründung notwendig.

Kosten und Verfahrenshilfe

Für das Verfahren selbst fallen keine Gebühren oder Verfahrenskosten an. Allerdings ergeben sich außergerichtliche Kosten wie etwa solche für den Rechtsbeistand. Anwaltskosten hat die beschwerdeführende Person zu tragen. Gleiches gilt unter anderem für Übersetzungen. Da Verfahren überwiegend schriftlich geführt werden, verbinden sich damit in der Regel keine Reisekosten. Nur in seltenen Fällen werden öffentliche mündliche Verhandlungen anberaumt. Ähnlich wie bei der Prozesskostenhilfe in Deutschland hängt die Gewährung von Verfahrenshilfe davon ab, ob die beschwerdeführende Person bedürftig ist und ihr die finanziellen Mittel fehlen, um entstehende Kosten zu begleichen. Zur Prüfung dieser Bedürftigkeit müssen Antragsteller ihre wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse offenlegen und von den zuständigen nationalen Behörden offiziell bestätigen lassen. Eine Bewilligung erfolgt frühesten dann, wenn die Stellungnahme des Staates eingegangen ist, gegen den sich die Beschwerde richtet. Die durch den EGMR gewährte Verfahrenshilfe besteht aus einer Einmalzahlung bzw. aus standardisierten Beträgen zuzüglich des Ersatzes eventuell anfallender Reisekosten.

Abschluss des Verfahrens

Wird eine Beschwerde als nicht zulässig zurückgewiesen, endet das Verfahren damit. Erklärt der Gerichtshof eine Beschwerde für zulässig, kommt es zu einer Entscheidung in dieser Sache. Das Vorliegen einer Verletzung kann er dann entweder verneinen oder die gegnerische Partei verurteilen. Im letzteren Fall spricht der EGMR der beschwerdeführenden Person gegebenenfalls eine Entschädigung zu. Bei erfolgreicher Beschwerde liegt es im Ermessensspielraum des Gerichts, der Regierung des betroffenen Staates aufzuerlegen, entstandene Kosten und Auslagen zu ersetzen.